BILD am SONNTAG: Frau Bundeskanzlerin, der Mindestlohn spaltet die Koalition. Was spricht eigentlich dagegen, Arbeitnehmer vor extremen Dumpingl??hnen gesetzlich zu sch??tzen?
ANGELA MERKEL: Ich kenne die Sorge von Arbeitnehmern, vor einer unsicheren Entwicklung in der Zukunft und vor extremen Dumpingl??hnen, und ich nehme das ernst. Deshalb ist es gut, dass es Instrumente gibt, mit denen der Staat eingreifen kann. So werden etwa die Besch?¤ftigten des Baugewerbes und der Geb?¤udereiniger durch das Entsendegesetz vor einem grob verzerrten Wettbewerb mit Niedrigl??hnen gesch??tzt. Auf Wunsch der Tarifpartner kann das auf andere Bereiche ausgeweitet werden. Ein fl?¤chendeckender gesetzlicher Mindestlohn ist aber die falsche Antwort, denn er kann den vielen Unterschieden von Branchen und Regionen in Deutschland nicht gerecht werden. Und wir w??rden damit nach Einsch?¤tzung von Experten Arbeitspl?¤tze vernichten. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen.
In vielen Bereichen haben Tarifvertr?¤ge aber keine Bedeutung mehr.
Jede L??sung muss auf der Tarifautonomie aufbauen, die in keinem anderen Land Europas von der Verfassung so stark gesch??tzt ist wie in Deutschland und die sich f??r die deutschen Arbeitnehmer ausgezahlt hat. Nur dort, wo Gewerkschaften und Arbeitgeber es allein nicht schaffen, f??r faire L??hne zu sorgen, darf der Staat gemeinsam mit den Tarifparteien eingreifen.
Was will die Union?
Wir treten daf??r ein, das vorhandene Instrumentarium weiterzuentwickeln. Wir wollen dazu die gerichtliche Durchsetzbarkeit des Schutzes vor sittenwidriger Entlohnung verbessern. Die un??bersichtliche Rechtsprechung muss klar und verst?¤ndlich f??r jedermann festgeschrieben werden. Sittenwidrige L??hne m??ssen verboten werden. Auch k??nnen wir die M??glichkeiten des Entsendegesetzes besser ausnutzen, um uns vor Lohndumping aus anderen L?¤ndern zu sch??tzen.
Wie soll die Untergrenze aussehen?
Das soll sich aus den Tarifvertr?¤gen ergeben. Wir wollen die Tarifautonomie, wo immer m??glich, st?¤rken. Wir sprechen au??erdem dar??ber, dass der Arbeitsminister dem Kabinett regelm?¤??ig einen Bericht ??ber die Entwicklung im Niedriglohn-Bereich in Deutschland gibt. Der Bericht wird zeigen, wo es keine
sch??tzende Tarifbindung mehr gibt und wo es f??r den Staat gemeinsam mit den
Tarifparteien Handlungsbedarf gibt.
KoalitionWelche Chancen der Einigung mit der SPD, die sich beim Mindestlohn festgelegt hat, sehen Sie da?
Wo ein Wille ist, ist ein Weg, sich auf das gemeinsam Machbare zu verst?¤ndigen. Damit k??nnten wir wichtige Verbesserungen f??r den Schutz von Arbeitnehmern und ihrer Arbeitspl?¤tze erreichen, ohne bestehende Arbeitspl?¤tze in Gefahr zu bringen.
Nach den Jahren der Lohnzur??ckhaltung, die nicht zuletzt zum Aufschwung beigetragen hat, hoffen die Arbeitnehmer auf einen kr?¤ftigen Schluck aus der Lohn-Pulle. Haben sie die Unterst??tzung der Kanzlerin?
Es ist eine gute Tradition, dass sich die Politik mit Ratschl?¤gen an die Tarifpartner, die das miteinander aushandeln m??ssen, zur??ckh?¤lt. Aber dass die Besch?¤ftigten auch ihren Anteil am wirtschaftlichen Erfolg ihrer Betriebe haben wollen, kann ich gut verstehen. Positiv finde ich, dass eine wachsende Zahl von Tarifvertr?¤gen auch Erfolgskomponenten enth?¤lt, die Arbeitnehmer an den Gewinnen der Unternehmen beteiligen.