Aus der Berliner Zeitung vom 13.12.2004
Wer schlie??t ab?
Eine britische Firma wird in Hessen ein neues Gef?¤ngnis mitbetreiben. Was das
bedeutet, kann man im englischen Doncaster schon erleben
Von Sabine Rennefanz
DONCASTER, im Dezember. Es gibt hier eine Einkaufsstra??e, einen Kreisverkehr,
zwei Autobahnen, vier Gef?¤ngnisse. Die Stadt hei??t Doncaster, sie liegt 250
Kilometer n??rdlich von London. "Doncatraz" nennen die Einheimischen den Ort, in
Anlehnung an die kalifornische Gef?¤ngnisinsel Alcatraz. Nach Doncaster kommen
die Wenigsten freiwillig. Zw??lftausend Menschen sind hier in der Gegend eingesperrt.
Eines der gr????ten Gef?¤ngnisse liegt am Stadtrand, in einem modernen Geb?¤udekomplex hinter Stacheldraht und haushohen Mauern. Es tr?¤gt den Titel
"Gef?¤ngnis Ihrer Majest?¤t Doncaster". Das klingt beinahe so, als sei es eine
Ehre, hineingelassen zu werden, aber es ist nur ein ??berbleibsel alter Zeiten,
als die K??nige und K??niginnen bestimmen konnten, wer hinter Gitter wandert.
Jetzt ist die Anstalt eines von zehn privaten Gef?¤ngnissen im Land, die Betreiberfirma hei??t Premier und ist ein Tochterunternehmen des britischen
Konzerns Serco.
Besucher m??ssen einen Fingerabdruck abgeben und sich fotografieren lassen. Dann
wird man von einer Frau in grauer Uniform ins Wartezimmer gesetzt. Das Wartezimmer ist bonbonfarben gestrichen, alle T??ren sind abgeriegelt. Auf einem
Fernseher flimmert ein Spruch, den der Gef?¤ngnisdirektor jeden Tag neu aussucht. Heute hei??t es: "Wer keinen Mut hat, muss schnell rennen k??nnen."
Serco ist eine der Firmen, die in den vergangenen Jahren Arbeiten ??bernommen
haben, die fr??her Aufgaben des Staates waren, diesem aber zu teuer geworden
sind. Serco betreibt Sicherheitsdienste, Krankenh?¤user, Eisenbahnen in aller
Welt. Inzwischen ist der Name der Firma auch in Deutschland bekannt. Das Unternehmen wird ab 2006 das erste teilprivatisierte Gef?¤ngnis ??bernehmen, das
derzeit im hessischen H??nfeld gebaut wird.
Jahrzehntelang war in Deutschland unumstritten, dass Gef?¤ngnisse von ausgebildeten, ausreichend bezahlten Beamten gef??hrt werden m??ssen, die nur dem
Staat verantwortlich sind. Ein wenig absch?¤tzig schaute man nach Amerika und auf seine privat betriebenen Gef?¤ngnisse, ??ber die man Geschichten von Missbrauch und Korruption h??rte. Doch in Zeiten, in denen die ??ffentlichen Kassen leer und die Gef?¤ngnisse voll sind, verblasst offenbar der Schrecken.
Der hessische Justizminister Christean Wagner, ein CDU-Mann, h?¤tte das neue
Gef?¤ngnis in Osthessen - Kapazit?¤t 500 Personen - am liebsten komplett an ein
privates Unternehmen abgegeben. Doch dazu h?¤tte man die Verfassung ?¤ndern m??ssen. Anders als in Gro??britannien m??ssen in Deutschland Gef?¤ngnisse staatlich geleitet werden. Also fand man einen Kompromiss: Die Angestellten der Firma Serco d??rfen Zellen putzen, Essen liefern, die H?¤ftlinge beim Drogenentzug beraten und per Video ??berwachen. Um die pers??nliche Bewachung der Insassen k??mmern sich nach wie vor Beamte. Mit dieser L??sung spart Hessen 55 000 Euro im Monat. Der Vertrag, der im November unterzeichnet wurde, l?¤uft zun?¤chst ??ber f??nf Jahre.
Ob die Trennung der Aufgaben zwischen den 99 Angestellten und 132 Beamten in
H??nfeld so sauber durchzuhalten ist, wird von Fachleuten bezweifelt. Der ehemalige hessische Justizminister der Gr??nen, Rupert von Plottnitz, sagt: "Da
wird eine Grenze ??berschritten." Er f??rchtet, dass die Sicherheit im Gef?¤ngnis
und die Sicherheit der Gesellschaft in Gefahr sind, wenn Personal zu Dumpingpreisen angeheuert und damit anf?¤llig f??r Bestechung wird. Dabei hat von
Plottnitz Ende der Neunziger selbst ??ber eine Teilprivatisierung der Anstalten
nachgedacht. Er war seinerzeit nach England gereist, um sich ein Privatgef?¤ngnis anzuschauen. Doch das Modell habe ihn nicht ??berzeugt, sagt von Plottnitz.
Vieles in H??nfeld ist noch ungekl?¤rt, das bestreitet nicht mal die Firma Serco.
Bekommen zum Beispiel die privaten Angestellten Schl??ssel f??r die Zellen? Wer
schlie??t ab? "Die genauen Arbeitsabl?¤ufe m??ssen noch gekl?¤rt werden", sagt ein
Justitiar der Firma.
??hnlich wie Rupert von Plottnitz heute denkt, dachte 1992 ein britischer Nachwuchs-Politiker namens Tony Blair. Er war damals innenpolitischer Sprecher
der oppositionellen Labour-Fraktion. Er protestierte gegen Maggie Thatcher, die
halb Gro??britannien an private Firmen verkaufte, um die leeren Staatskassen zu
f??llen. "Ich glaube, Menschen, die vom Staat zur Haft verurteilt werden, sollten nur von denjenigen eingeschlossen und bewacht werden, die ausschlie??lich dem Staat verantwortlich sind", sagte Blair damals.
Wenige Tage nachdem Labour dann 1997 an die Macht kam, waren diese Worte vergessen. Blairs Partei beschloss, neue Gef?¤ngnisse nur noch privat bauen zu
lassen. Nirgendwo sonst in Europa ist die Privatisierung von Gef?¤ngnissen heute
so weit fortgeschritten.
Nun k??nnte man argumentieren, dass private Firmen vielleicht einfach besser,
innovativer, erfolgreicher sind als der schwerf?¤llige Justizapparat. Doch das
sagt nicht mal Vicky Read in Doncaster. Vicky Read ist Ende 20, klein, dick und
hat ein m?¤dchenhaft zartes Gesicht. Sie ist die Sicherheitschefin des Gef?¤ngnisses in Doncaster. Sie hat die Aufgabe dem Gast zu zeigen, wie gut das
Gef?¤ngnis funktioniert. Sie f??hrt durch lange, unbeheizte Flure, schlie??t doppelte Metallt??ren auf und hinter sich schnell zu. In manchen Fl??geln lungern
M?¤nner in Trainingshosen herum. Sie sind auffallend jung und, blass. Ob Vicky
Read sich hier manchmal unsicher f??hlt? Die Antwort kommt schnell: "Nat??rlich
spielt das im Unterbewusstsein immer eine Rolle."
In einem fensterlosen Raum rattern Maschinen, ein Dutzend M?¤nner starrt auf
Computerbildschirme, andere tragen Papierkartons durch den Raum, auch hier
tragen alle Trainingshosen. Es riecht nach Schwei?? und Druckerfarbe. Die H?¤ftlinge drucken Schilder, Plakate, Karten f??r die Firma Serco und Wohlt?¤tigkeitsorganisationen. Dies sei eine sehr moderne Druckerei, sagt Keith,
einer der W?¤chter. Er spricht schnell, ihm laufen Schwei??tropfen von der Stirn.
Er hat die Verantwortung f??r die Druckerei und die 45 H?¤ftlinge, die hier arbeiten. Einer wie Keith verdient im Schnitt 16 000 bis 18 000 Pfund im Jahr,
rund 6000 Pfund weniger als im Staatsgef?¤ngnis.
Keith zeigt auf eine der computergesteuerten Maschinen. "So etwas k??nnen sich
nicht mal Firmen in Doncaster leisten", sagt er stolz. Das Problem ist nur, dass die Druckerei gerade 45 Pl?¤tze hat - es aber 1120 Gefangene gibt, die
besch?¤ftigt werden sollen. Wie Doncaster bleiben die meisten privaten Gef?¤ngnisse hinter den Zielvorgaben f??r sinnvolle Bet?¤tigung zur??ck.
Alex, ein nerv??ser Junge Anfang 20, hatte Gl??ck. Er arbeitet im Gef?¤ngnis im
selben B??ro wie die Serco-Angestellten. Weil er sich gut f??hrte, darf Alex
Mitgefangene ??ber das Leben nach der Haft beraten. Inzwischen kennt er sich aus. Er wei??, wie man Sozialhilfe beantragt, welche Stellen Drogenberatung anbieten und wie man eine g??nstige Wohnung findet. "Ich bin viel selbstbewusster geworden", sagt er.
Doch wer als Jugendlicher unter 21 in Doncaster war, kommt meistens zur??ck, sagt Rod MacFarquhar. Er ist der Gef?¤ngnisdirektor. MacFarquhar, ein unaufgeregter Mann, hat ??ber 30 Jahre lang im staatlichen Gef?¤ngnisdienst gearbeitet, vor ein paar Jahren ist er zu Serco gewechselt - und f??hlt sich wohler. "Es gibt weniger Regeln, weniger Vorgaben", sagt MacFarquhar. Und er sagt, er sei auch froh, dass er sich nicht mehr mit den Gewerkschaften und ihren Lohnforderungen herum?¤rgern muss. Es klingt wie ein Vorstandsvorsitzender, der sich freut, wie gut er seine Fabrik in ein Billiglohnland verlegt hat.
Wie viele seiner Angestellten haben schon mal in einem Gef?¤ngnis gearbeitet?
"Neunundneunzig Komma neun Prozent haben ??berhaupt keine Erfahrung", sagt der
Direktor. Die meisten der Angestellten in Doncaster lernen in acht Wochen ihren
Job. Justizvollzugsbeamte brauchen zwei Jahre. Der Einstiegslohn der Angestellten liegt bei 15 000 Pfund im Jahr, etwa 22 000 Euro, das sind tausend
Pfund weniger als im ??ffentlichen Dienst. Oft haben die privaten Angestellten
weniger Urlaub und arbeiten l?¤nger als die Beamten. In Doncaster sind auch viel
weniger Leute besch?¤ftigt als in einem vergleichbaren staatlichen Gef?¤ngnis. Und das ist alles kein Problem?
Rod MacFarquhar, der Direktor, sagt, es komme nicht auf Zahlen und Abschl??sse
an, sondern auf die sozialen F?¤higkeiten, die jemand mitbringe.
Stephen Nathan von der Universit?¤t in Greenwich ist einer der wenigen unabh?¤ngigen Experten zu diesem Thema. Er ver??ffentlicht seit Jahren den "Private Prison Report". Er sagt, private Gef?¤ngnisse wirkten auf einen ersten
Blick oft netter und die Mitarbeiter kumpelhafter. Doch das sei genau das Problem. Das Personal sei ??berlastet und habe die H?¤ftlinge oft nicht im Griff.
"In privaten Gef?¤ngnissen bestimmen die H?¤ftlinge, was l?¤uft",sagt Nathan.
Doncaster mag das Aush?¤ngeschild von Serco sein, andere Gef?¤ngnisse der Firma
laufen weniger reibungslos. Kilmarnock zum Beispiel. Die Anstalt hat einen Ruf
als gewaltt?¤tigstes Gef?¤ngnis in Schottland. "Unerfahrenes, ungeschultes Personal l?¤sst sich leicht von den erfahrenen H?¤ftlingen manipulieren", warnte
die staatliche Aufsichtsbeh??rde. Das Management eines Jugendgef?¤ngnisses, wurde
Serco vor??bergehend entzogen, weil dort die Gewalt au??er Kontrolle geraten
waren.
"Die einzigen, die bisher in Gro??britannien von der
Gef?¤ngnis-Privatisierung
profitiert haben, sind die Unternehmen", sagt Stephen Nathan. Sercos Tochterfirma Premier machte 1994 gut sieben Millionen Pfund Umsatz, fast zehn
Jahre sp?¤ter hat sich der Umsatz f??r die Strafanstalten mehr als versechzehnfacht, knapp zehn Millionen Pfund davon sind Gewinn. Nat??rlich sind
Unternehmen wie Serco nicht Schuld daran, aber es st??rt sie auch nicht, dass die britischen Gef?¤ngnisse so ??berf??llt sind wie nie. Je mehr Leute eingesperrt
werden, desto mehr verdient man. Derzeit sitzen 74 700 H?¤ftlinge ein, so viele
wie noch nie. Verglichen mit der Gesamtbev??lkerung werden nirgendwo in Westeuropa so viele Menschen eingesperrt wie auf der Insel. Fr??her war Gro??britannien Schlusslicht der Statistik. Nun kann man wegen Handy-Diebstahl
ein Jahr im Gef?¤ngnis landen.
Als Direktor MacFarquhar vor drei??ig Jahren im Gef?¤ngnisdienst anfing, gab es 30000 Gefangene im Land. "Wir haben damals Gef?¤ngnisse geschlossen, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen." (Berliner Zeitung, 13.12.04)